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Ursachen der Gewaltneigung

03.07.2013 16:04

Für die Entstehung von Gewalt an Schulen gibt es vielfältige Erklärungsansätze. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Ursachen sehr vielschichtig sind. In dem folgenden Artikel werden zwei mögliche Erklärungsansätze vorgestellt.

 
1. Gewaltneigung aufgrund fehlender Anerkennung

HELSPER (1995) ist der Überzeugung, dass die Ursache vieler Gewalthandlungen in der Schule die Folge fehlender schulischer Anerkennung ist, die durch die hohe Leistungserwartung der Familie zudem noch verstärkt wird.

Die sozialen Beziehungsverhältnisse von Kindern erleben stetigen Wandel. Insbesondere mit dem Beginn des Schullebens werden sie mit neuen Beziehungskonstellationen konfrontiert, die andere Anerkennungsprozesse mit sich bringen als die familiären. Das familial-gewohnte Beziehungsverhältnis wird zunehmend durch das sozial-distanzierte verdrängt oder gar abgelöst. Daher vertritt Helsper die These, dass die Schule als „Transformator“ von Anerken-nungsverhältnissen die psychische Integrität des Schülers gefährdet und ihn in unzureichendem Maße individualisiert und keine notwendige Unterstützung bietet (vgl. HELSPER 1995, S.355). In seiner Begründung sieht man u.a. folgende Argumentationen:

  • Die Schule wird der Aufgabe der Stabilisierung und Konsolidierung von Schülerselbstvertrauen im Sinne der Selbstintegration nicht gerecht
  • Eine ganzheitliche Schülererziehung ist nicht vorhanden
  • Es existiert eine distanzierte und stark leistungsbezogene Lehrerhaltung

Die familiären Leistungserwartungen, die starken Einfluss auf interfamiliäre Anerkennungsprozesse haben, kommen additional hinzu, wodurch negative Gewaltreaktionen verstärkt werden. Diese sozial konstituierten negativen Gefühle der Scham, Verachtung, des Hasses und der Wut, als reaktive Verarbeitung von Selbstwertverletzungen, aber bilden den motivationalen Kern gewaltsamer Eskalation (HELSPER 1995, S.148).

 

2. Gewaltneigung aufgrund gesellschaftlicher Individualisierung

Die Individualisierungstheorie von BECK (1986) bietet ebenfalls einen geeigneten Erklärungsansatz für die Gewaltphänomene bei Jugendlichen. BECK beschreibt in seinem Aufsatz „Individualisierung der Gesellschaft“ den soziokulturellen Prozess (besonders) der letzten drei Jahrzehnte, in dessen Verlauf ein stetiger Zerfall (kein einfacher Wertewandel) gesellschaftlicher Normen und Wertorientierungen zu beobachten ist. Diese Entwicklung ermöglichte dem einzelnen Individuum ein Höchstmaß an Freiheit. Der Mensch ist frei von jeglichen traditionellen und kulturellen Restriktionen. Er ist frei im Lebensstil, im Denken und Handeln. Jeder kann im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Leben völlig eigenständig designen. Und eine gesellschaftliche Beratungsinstanz bezüglich Handlungsentscheidungen gibt es nicht mehr. Jeder hat selbst zu entscheiden, was „richtig“ und „falsch“ ist. Die Außensteuerung wird ersetzt durch die Innensteuerung des eigenen Urteilens und Verhaltens. Mit dem Erlangen der vermeintlichen individuellen Freiheit entsteht der Zwang, das eigene Leben selbst zu organisieren und zu bestimmen. Jedoch das „[…] eigene Leben ist das durch und durch institutionenabhängige Leben. Gerade im Bürokratie- und Institutionendickicht der Moderne ist das Leben in Netzwerke von Vorgaben und (bürokratischen) Regeln fest eingebunden. Die modernen Vorgaben (erzwingen) die Selbstorganisation des Lebenslaufs und die Selbstthematisierung der Biographie geradezu“ (BECK 1986, S.41ff.). Das bedeutet, der Einzelne kann sich in der hochdifferenzierten Gesellschaft nicht mehr auf die Erfahrungen bisheriger Generationen stützen. Er wird permanent aufgefordert, sich immerwährend neuen modernen Situationen und einer offenen Zukunft zu stellen. Die Suche nach dem „eigenen Leben“ wird damit zur Lebensaufgabe. Die Orientierung bei der Bewältigung dieser Aufgabe findet er lediglich in sich selbst, was wiederum eine hohe Anforderung und häufige Überforderung zur Folge hat. Bezogen auf die Jugendlichen, die ohnehin von Unsicherheit geprägt sind, lässt die Antwort auf die Aufforderung, „ein eigenständiges Individuum zu werden“, in der Übertreibung der Individualisierung suchen, indem sie nur die eigene Befindlichkeit, die eigenen Vorteile und eigene Interessen zentralisieren. Eine Mentalität der Selbstgerichtetheit, Rücksichtslosigkeit, Egoismus usw. ist schließlich die Folge. Autor: Mitat Karahan

 

Hurrelman/Bründel (2007) halten folgende Punkte zum Thema fest:

Die häufigsten Risikofaktoren für Gewalt sind:

  • Das Streben nach Anerkennung
  • Der schlechte schulische Leistungsstand 
  • Die häufigen Versetzungsgefährdungen und Klassenwiederholungen
  • Das Zurückbleiben hinter den eigenen und/oder elterlichen Erwartungen 

Aggressivität und Gewalt zeigen sich demnach vor allem bei den Schülern, die eine Anpassung an die vorherrschende Wertevorstellung angestrebt und nicht die entsprechende Anerkennung erhalten haben. Folglich wenden sie sich von diesen Wertevorstellungen ab und suchen Anerkennung auf eine andere Art und Weise.

 

 

 

Literatur:

Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp: Frankfurt a. M., v.a. S.121-160.

Helsper, W. (1995): Sozialisation. In: Krüger, H.-H./Helsper, W.: Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft. München.

Hurrelmann, K./Bründel, H. (2007): Gewalt an Schulen. Pädagogische Antworten auf eine soziale Krise. Weinheim und Basel 2007, S. 104 ff., Auszüge.

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